TTIP – Ein Hoch auf unsere Demokratie!

Heute ist es der Terrorismus, morgen ein Flugzeugabsturz, übermorgen die X-te Spekulation zur Euro-Krise oder die Meldung zur 65 jährigen Vierlings-Mutter…
Es ist schon einiges los auf der Welt und wir erfahren es jeden Tag über die freie Presse. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der Demokratie.

Und zur Demokratie gibt es keine Alternative!

Das predigen auch unsere Volksvertreter zu Recht. Neben der Presse- und Meinungsfreiheit sind Rechtsstaatlichkeit und die Freiheit der Person grundlegende Eigenschaften einer Demokratie. Freie Wahlen bilden die Basis der Herrschaft durch das Volk.
Ganz am Rande, zwischen der Krankenakte von Co-Piloten und griechischen Stinkefingern, zwischen Kriegspropaganda aus der Ukraine und Bunga-Bunga-Affären von Staatsoberhäuptern, erscheint ab und an mal eine Randnotiz zu „TTIP“. Das ist das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa. Die einen preisen es als Jobmaschine, die anderen kritisieren es wegen gechlorten Hähnchen oder geklontem Rindfleisch…
Der freie Handel an sich klingt doch ganz gut. Und unsere Volksvertreter werden schon wissen, was gut für uns ist. Sie heißen schließlich nicht umsonst „Vertreter“ und nicht „Verräter“. Sie wollen nur unser Bestes. Und „unser Bestes“ hängt nun mal eng mit dem Wirtschaftssystem zusammen, oder? Hauptsache, das Abkommen steigert BIP und Wirtschaftswachstum. Und wenn es dann auch noch Arbeitsplätze schafft, ist es ja fast die größte Erfindung seit dem Rad…!
Hinzu kommt, dass TTIP in den Nachrichten meist nur am Rande behandelt wird. Wenn es wirklich so schlimm wäre, würde man in Dauerschleife und Brennpunkten darüber berichten. Schließlich leben wir ja in einer Demokratie mit einer freien und unabhängigen Presse…

Doch was bedeutet eigentlich dieses Freihandelsabkommen genau? Wer verhandelt darüber und was wird es bewirken?
Wenn man sich diese Fragen einmal stellt und die Antworten sucht, wird man sehr schnell ein wenig skeptisch…
Über das Abkommen verhandelt kein Bundestagsabgeordneter. Es verhandelt auch kein Abgeordneter des Europaparlaments. Diese wissen nicht einmal Details vom Inhalt! Vielmehr gibt es spezielle Arbeitskreise, in denen hinter verschlossenen Türen von EU- und US-Repräsentanten, zusammen mit Wirtschaftsvertretern, über TTIP verhandelt wird!
Aber sicher wird das fertige Vertragswerk doch später allen nationalen Parlamenten vorgelegt und diese gewählten Volksvertreter entscheiden dann über dessen Umsetzung?
Prinzipiell könnte das so sein. Doch ob und wie eine Verifizierung durch die einzelnen Parlamente oder das Europaparlament wirklich im Detail stattfinden muss, steht gar nicht fest. Schließlich geht es hier um ein völkerrechtliches Vertragswerk, das über dem Recht nationaler oder europäischer Gesetze steht.
Es steht also über europäischen und deutschen Gesetzen? Aber das würde ja bedeuten, dass der Wähler in Zukunft zwar Politiker wählt, diese aber nur im Rahmen dieses Vertragswerks Gesetze erlassen können?
Und genauso ist es!
Ziel des Freihandelsabkommens ist es, EU- und US-Standards zu harmonisieren. Harmonie klingt immer schön. Doch das heißt in diesem Fall nichts anderes, als dass bestimmte EU-Regeln gesenkt werden. Das ist zumindest naheliegend, denn man will mit dem Freihandelsabkommen den Handel so frei wie möglich gestalten. Dem stehen Qualitäts-, Sozial-, Umwelt-, Tierschutz-, Kultur und Mitbestimmungsstandards im Wege. Durch die Abschaffung von Handelshemmnissen soll die Wirtschaft gestärkt werden – nicht aber Verbraucher-, Umwelt-, Sozial und Tierschutzstandards. Deshalb haben auch die meisten Lobbyisten aus Wirtschaft und Industrie Vorschläge einbringen dürfen. Und Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise Umwelt-, Tierschutz-, Kultur- oder Verbraucherschutz-Verbände, standen ganz hinten an, als es ums Vorschlagen ging.
Folge des Abkommens und der Wirtschaftsfreundlichkeit könnte somit z.B. sein, dass in Europa künftig für die Zulassung von Chemikalien andere Regeln gelten. Momentan ist es so, dass innerhalb der EU ein Unternehmen nachweisen muss, dass sich ein neu einzuführender Stoff nicht negativ auf Umwelt und Gesundheit auswirkt. In den USA gilt ein anderes Prinzip: Hier darf jedes Unternehmen erst mal den Stoff einführen und eine staatliche Stelle oder ein Bürger muss nachweisen, dass dieser Stoff schädlich ist, damit er verboten wird. Die Nachweispflicht mit vielen teuren Untersuchungen liegt in den USA also beim Staat und den Bürgern. In Europa liegt sie beim jeweiligen Unternehmen…
Ähnliche Anpassungen an US-Standards wird es wohl auch beim Einsatz und Anbau von genetisch veränderten Organsimen bzw. deren Kennzeichnung geben. Das bedeutet: Anbau erlaubt, Kennzeichnung nicht nötig.
Solche „Angleichungen“ der Standards (das bedeutet aus Sicht der EU Aufweichungen) wird es in fast allen gesellschaftlichen Bereichen geben.
Das Abkommen wird bestehende Standards vielleicht nicht komplett aus den Angeln heben können. Doch es wird in jedem Fall eine künftige Verschärfung von Richtlinien verhindern.
Wenn in Europa beispielsweise endlich offiziell anerkannt wird, dass Pestizide das Bienensterben verursachen und man diese Gifte verbieten will, kann man das natürlich erst mal tun. Doch das Freihandelsabkommen steht bekanntlich über nationalem und europäischem Recht. Verstieße nun ein nationales gesetzliches Verbot von Pestiziden gegen das Abkommen, wäre dieses nicht nur unwirksam. Vor allem könnten in einem solchen Fall die Chemieriesen jene Staaten auf Milliardenentschädigung verklagen, die bestimmte Pestizide freihandelswidrig verbieten möchten. Denn auch das ist Bestandteil des Freihandelsabkommens: Konzerne, die gegen nationale Gesetze klagen und Schadensersatz einfordern können, weil es nicht nach ihrem Willen geht. Die daraus resultierenden rechtlichen Auseinandersetzungen würden dann nicht mal mehr vor nationalen oder europäischen Gerichten stattfinden. Es würden spezielle Schiedsgerichte eingeführt, die über allem stehen und die unabhängig von anderen Gerichten entsprechende, rechtlich bindende Urteile fällen könnten. Besetzt wären diese natürlich von gänzlich unparteiischen Schiedsrichtern. So ähnlich wie beim Fußball, in dem sich natürlich auch kein Schiedsrichter kaufen lassen würde… Wo denke man hin?! Schmieren wäre der passende Ausdruck!
Wie geschmiert könnte somit die Wirtschaft brummen…
Man argumentiert im Zusammenhang mit TTIP ja gerne mit hohen Wachstumszahlen. In Wirklichkeit kommen selbst Studien, die von TTIP-Befürwortern in Auftrag gegeben wurden, am Ende zu dem Schluss, dass TTIP das Wirtschaftswachstum bis Mitte der 2020er um etwa einen halben Prozentpunkt steigern könnte. Und selbst diese Schätzungen sind sehr vage. Zunächst hatte man sich verrechnet und öffentlichkeitswirksam Informationen über weit höhere Werte verlauten lassen, musste dann aber nach unten korrigieren…
Doch selbst von diesen Rechenspielen abgesehen, fragt man sich doch eines: Wie kann man für ein Freihandelsabkommen, dessen Inhalt im Geheimen verhandelt wird und dessen einzelnen Regeln man noch gar nicht im Detail kennt, Prognosen erstellen? Ein Abkommen, das zugleich derart vielfältig alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betrifft (Gesundheitswesen, Sozialkassen und Tarifrecht, Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz, Industrie-, Landwirtschafts- und Dienstleistungsstandards, Standards im Baugewerbe, in der Chemie,…) Und dies auch noch vor dem Hintergrund, dass man über 10 Jahre im Voraus prognostiziert, ohne zu wissen, wie sich die Weltwirtschaft allgemein entwickelt. All das erinnert ein wenig an die Kaffeesatzleserei…
Wie kann man die Auswirkungen eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen zwei gewaltigen Wirtschaftsräumen allen Ernstes prognostizieren wollen, wenn man es nicht mal schafft, die Kosten des neuen Hauptstadtflughafens konkret zu planen und dieses Bauwerk irgendwann in ferner Zukunft in einen funktionstüchtigen und bezahlbaren Zustand zu bringen?

Geheimverhandlungen; internationale Schiedsgerichte und Vertragstexte, die nationale und europäische Gesetze aushebeln können; Involvierte Konzerne und starke Lobbygruppen. Und dann diese dubiose Kaffeesatzleserei über den Nutzen des Ganzen…

Gut, dass man uns mit diesen ganzen Details nicht belästigt und uns lieber teilhaben lässt an den persönlichen Befindlichkeiten ehemaliger Staatsoberhäupter nach Bunga-Bunga-Partys; dem „Crystal Meth-„ oder „Kinderporno-Konsum“ von Bundestagsabgeordneten; Meldungen über das neueste Handy-Modell auf der bevorstehenden Technikmesse; oder Berichte über die historische Annäherung von USA und Kuba, durch die der US-Präsident die Kubaner an die Demokratie heranführen will. – Eine Demokratie, die selbst Gefangenenlager ohne rechtsstaatlichen Prozess betreibt – wie in Guantanamo auf Kubanischem Boden…!
Da wird der Wolf in weichgespülte Nachrichten verpackt und mit einem Schleifchen Dauerwerbesendung garniert.
Ein Hoch auf die Freie Presse in unserer wohlbehüteten Rosa-Rote-Brillen-Demokratie…

Christiane Loch
Author: Christiane Loch


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