Es lief auf allen Kanälen, stand in allen Tages- und Wochenzeitungen… Nelson Mandela ist tot. Der Befreier Südafrikas, jener, der Jahrzehnte seines Lebens im Gefängnis saß und dort den Widerstand gründete, hat diese Welt verlassen.
Aus allen Himmelsrichtungen kamen Beileidsbekundungen und Lobeshymnen. Zu Recht – dieser Mann hat eine sehr große Leistung vollbracht. Er hat sich gegen den Rassismus in seinem Land eingesetzt und wurde inhaftiert, ihm wurde Gewalt angetan. Und dennoch resignierte er nicht. Dennoch knickte er nicht ein vor der Staats-Gewalt. Er ließ nicht von seinem Kampf ab, baute während der Gefangenschaft einen Widerstand auf. Und er ließ sich nicht von der Wut leiten, wurde nicht gewalttätig. Sondern er kämpfte mit friedlichen Mitteln gegen die Apartheid und den Rassismus. Schließlich kam er frei und wurde sehr bald Präsident jenes Staates, dessen dann gestürztes Regime ihm jahrelang das höchste Gut vorenthalten hatte: Die Freiheit.
Präsident Obama stand nun während der Trauerfeier am Rednerpult und lobte Nelson Mandela über alles. Er schwärmte von der Freiheit, die Mandela seinem Volk gebracht hatte, erfreute sich über die Friedlichkeit, mit der er vorgegangen ist. Ja, er bezeichnete ihn als sein Vorbild.
Und diese Worte stammten von Obama, der noch immer das Gefangenenlager auf Guantanamo nicht geschlossen hat, der weiterhin Menschen ohne Prozess inhaftiert hält. Jener, der nicht nur die eigene Bevölkerung bespitzeln lässt, sondern auch Bürger befreundeter Staaten. Ja, selbst vor den alliierten Staatschefs lässt er die NSA nicht Halt machen. Jener Obama, der sich bei jeder Gelegenheit, die sich ihm nur bietet, vor Lobbyisten weg duckt, wenn es beispielsweise um den Umwelt- und Klimaschutz geht. Jener Präsident, der sich auch nicht gegen Ausbeutung und Sklaverei in anderen Staaten stellt. Schurkenstaaten einmal ausgenommen… Sklaverei und Ausbeutung sind heutzutage wieder salonfähig, sobald sie durch den Kapitalismus erzeugt werden. Die freie Marktwirtschaft und die Globalisierung versklaven Millionen oder gar Milliarden Menschen weltweit. Und jener, der Nelson Mandela als sein Vorbild ansieht, schaut dabei nicht nur schweigend zu. Er greift den Sklaventreibern auch noch direkt oder indirekt unter die Arme. Nicht, dass eine Frau Merkel oder ein Herr Hollande hier anders agieren würden. Doch sie stellen sich wenigstens auch nicht hin und erzählen davon, wie sehr sie Nelson Mandela bewundern und ihn stets als ihr Vorbild ansehen.
Wie auch immer haben sich die Mächtigen der Welt inszeniert, haben die Wellen genutzt, die der Tod dieses großen Mannes geschlagen hat. Noch ist er in aller Munde, jener Mandela. Doch bald wird ihn der Alltag überdecken und zurück bleibt… Ja, was bleibt eigentlich zurück? Was ist die Botschaft, die jener Jurist, der zum Häftling und dann zum Präsident wurde, der Welt hinterlassen hat?
Ist es nicht verblüffend, wie jener Mann für seine Sache gekämpft hat? Wie er im Gefängnis saß, wirklich Qualen erleiden musste, und dabei nicht den Mut verlor? Wie er sich nicht brechen ließ und auch nicht in den Mainstream stoßen ließ? Wie er gegen den Strom schwamm, gewaltfrei und nur mit der Überzeugung einer besseren Welt?
Wir sind nicht im Gefängnis, wir sind nicht durch Staatsgewalt bedroht und müssen nicht um unser Leben fürchten. Wir haben die Freiheit. Und trotzdem kommt er so leicht über unsere Lippen, jener Satz: „Da kann man eh nichts dran ändern.“ Wirkt er nicht geradezu lächerlich – jener Satz aus den Mündern von Menschen, die in demokratischer Freiheit leben, wenn man sich das Wirken von Nelson Mandela anschaut?
Wir können nichts ändern? Haben wir es denn einmal wirklich versucht? Haben wir es gewagt, nicht in den Mainstream zu springen, sondern ihm gezielt aus dem Weg zu gehen? Oder gegen seine Fließrichtung zu schwimmen? Haben wir es denn einmal gewagt, alle Denkblockaden zu lösen, die Scheuklappen abzunehmen? Jene, die uns der Markt und die Gesellschaft aufgesetzt haben, um von unserem starren Blick zu profitieren?
Wieso wagen wir es nicht einfach? Warum machen wir nicht den Schritt und stellen uns dem Mann mit der Säge in den Weg, der den alten Baum in der Allee fällen will, rufen andere zum Widerstand auf? Wieso verzichten wir nicht offen auf Fleisch und riskieren auch die eine oder andere spitze Bemerkung von Kollegen und Freunden? Warum stehen wir nicht einfach dazu, kein Smartphone zu besitzen? Weshalb fahren wir nicht lieber den kleinen, sparsamen City-Flitzer, anstatt den PS-starken Wagen? Wenn wir im Internet eine Suchmaschine wählen, so können wir beispielsweise eine solche nutzen, die einen Großteil ihres Ertrages in die Aufforstung von Wäldern steckt. Wir könnten an Weihnachten auch mal Sinnvolles verschenken. Einen Geschenkbaum zum Beispiel, der nach einiger Zeit sogar noch finanzielle Rendite abwirft. Oder einen Kalender, dessen Erlös direkt in die Naturschutzarbeit fließt. Wir könnten fair gehandelte Schoko-Nikoläuse kaufen, anstatt mit Industriezucker und –kakaoproduzierte Weihnachtsmänner der Industrie-Marken. Wir könnten in den Eine-Welt-Laden gehen und dort ganz besondere Geschenke kaufen, anstatt im Internet beim 0-8-15-Versand gleich mehrere, billige Geschenke zu bestellen. Es muss auch an Weihnachten kein Fleisch auf den Tisch kommen. Wie wäre es mit einer vegetarischen Alternative, wie ein fertiger Braten aus Seitan oder ein selbst hergestelltes Gericht?
Können wir im Geiste Mandelas nicht auch die Stimme erheben, wenn am Stammtisch oder in der Firma mal wieder gegen Flüchtlinge oder Ausländer gewettert wird? Oder wenn der Kollege ausgegrenzt und gemobbt wird, nur weil er eben nicht so ist wie alle anderen? Warum wagen wir es nicht, im Garten ein Stück weit Natur zuzulassen? Warum ziehen wir keinen umweltfreundlichen Urlaub mit Bahn- oder PKW-Anreise dem Pauschalurlaub mit Billigflieger auf Mallorca vor? Nur weil wir dann schief angeguckt werden von Kollegen und Freunden? Warum übernehmen wir keine Patenschaft für ein Kind in Afrika, Asien oder sonst wo auf der Welt? Weil es die anderen auch nicht tun? Wieso helfen wir nicht der alten Frau auf dem Gehweg, die offensichtlich hingefallen ist? Lassen wir sie liegen, weil wir denken: „Sollen doch die anderen helfen…“?
Der Geist von Nelson Mandela, sein Vermächtnis, steckt in uns allen. Denn er war ein Mensch wie wir alle auch Menschen sind. Und in uns allen steckt dieser göttliche Keim, dieser Funken Anstand, der schnell zu einer Flamme der Hoffnung werden kann für unsere Mitgeschöpfe und für diese Welt. Wir dürfen ihn nur nicht ersticken, müssen ihm etwas mehr Luft geben. Und schon erwächst daraus etwas Großes und Warmes, das Licht in tiefste Dunkelheit zu bringen vermag.
Große Veränderungen in der Geschichte haben oftmals mit dem Umdenken Einzelner angefangen und dann ganze Revolutionen ausgelöst. Wenn Christoph Columbus den Kritikern seiner Zeit Glauben geschenkt und den neuen Seeweg nach Indien nicht gesucht hätte, hätte er niemals Amerika entdeckt. Wäre Martin Luther dem Mainstream seiner Zeit gefolgt, hätte er sich niemals Gedanken gemacht, hätte zu keiner Zeit seine 95 Thesen an die Kirche von Wittenberg genagelt und dadurch auch nie die Reformation ausgelöst, die evangelische Konfession begründet. Und hätte Nelson Mandela einst geschwiegen und die Staatsgewalt so akzeptiert, die Meinung gegenüber dunkelhäutigen Bürgern Südafrikas toleriert, so hätte er nie ein Ende der Apartheid erreicht.
Änderungen beginnen mit dem ersten Schritt, der von ausgetretenen Pfaden abweicht.
Und jeder von uns kann etwas ändern! Wir müssen es nur wollen, dürfen uns hinter der vermeintlichen Unmöglichkeit, die uns so gerne eingeredet wird und die wir uns auch selbst allzu gerne vor Augen halten, nicht weiter verstecken. Wenn wir das tun, wenn wir den ersten Schritt zur Veränderung hin gehen, ehren wir Mandelas Werk am Sinnvollsten. Besser als ein Barak Obama, der mit leeren Worthülsen versucht, über die eigenen tolerierten Verbrechen hinweg zu täuschen.