Landwirtschaft wird oft mit großen Maschinen und harter Arbeit in Verbindung gebracht. Dass es auch anders geht, zeigt der japanische Biologe, Landwirt und Philosoph Masanobu Fukuoka. Er vertritt die These, dass man in der Landwirtschaft mit weniger Arbeit und weniger Aufwand, bessere und gesündere Ergebnisse erzielen kann.
Viele Jahrtausende lang ist die Natur ohne den Menschen ausgekommen und hat dabei Tiere, Pflanzen, Früchte und Blumen in Hülle und Fülle hervorgebracht. Warum also künstlich eingreifen, wenn in der Natur alles Wichtige ganz von allein wächst und gedeiht? So lautet im Kern die These Masanobu Fukuokas, die auch unter dem Begriff der “Nichts-Tun-Landwirtschaft” bekannt ist.
Natürlich geht es nicht darum, wortwörtlich “nichts” zu tun, sondern darum, weniger einzugreifen und die natürlichen Prozesse und das ökologische Gleichgewicht für sich arbeiten zu lassen. Fukuoka spricht sich nicht gegen landwirtschaftliche Arbeit generell aus, sondern gegen unnötige Arbeit. Seine Theorien hat Fukuoka nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts der fortschreitenden Industrialisierung der Landwirtschaft entwickelt und in seinem Buch “Der Große Weg hat kein Tor” dargelegt.
Für Fukuoka sind beispielsweise das Düngen mit Kunstdünger und der Schutz vor Schädlingen mit Hilfe von Pestiziden nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich. In einem funktionierenden Ökosystem werden diese Funktionen von der Natur selbst reguliert. Dabei ist es wichtig, nicht nur eine einzige Art von Feldfrüchten anzubauen, da dies den Boden auslaugt und das angebaute Getreide für Schädlinge anfälliger macht. Daher empfiehlt er, Fruchtfolgen einzurichten und auch andere Pflanzen wie zum Beispiel Weißklee als Untersaat anzubauen. Weißklee ist dafür bekannt, den Boden mit Stickstoff zu versorgen und das Ausbreiten von Unkraut zu verhindern. Dieses Verfahren wird als Gründüngung bezeichnet. Auf diese Weise kann der Boden auf natürliche Weise mit Nährstoffen versorgt werden und der Einsatz von Herbiziden wird überflüssig.
Auf der anderen Seite zeigt Fukuoka in seinem bekannten Buch “Der große Weg hat kein Tor” auf, inwiefern das Düngen mit chemischem Dünger der Fruchtbarkeit schadet. Werden Pflanzen künstlich gedüngt, so wachsen sie besonders schnell und werden besonders hoch. Dabei verlieren sie jedoch ihre Widerstandskraft gegen Schädlinge und der Einsatz von Pestiziden und Herbiziden wird unumgänglich. Auch laugen diese künstlich hochgezüchteten Pflanzen den Boden stärker aus als ungedüngte Pflanzen und sie werden daher im Laufe der Zeit immer mehr auf Dünger und das Hinzufügen von Nährstoffen angewiesen.
Dieser Teufelskreis betrifft auch die Bodenbearbeitung mit Hilfe von Pflügen. Fukuoka zufolge zerstöre diese Art der Bodenbearbeitung das innere Gleichgewicht des Bodens, da sie Würmer und andere im Boden lebende Organismen töte. Dadurch werde der Boden, so Fukuoka, “trocken und leblos” und müsse immer weiter bearbeitet werden. Diese Arbeit könne man sich jedoch sparen, da die Wurzeln der Pflanzen und die im Boden lebenden Organismen den Boden ganz von alleine umgraben – Würmer statt Pflüge also.
Für Fukuoka beschränkt sich die Landwirtschaft also idealerweise auf das Säen und Ernten. In moderner Terminologie wird dieses Vorgehen als Direktsaat bezeichnet. Bei der konventionellen Saat wird das Feld gepflügt und das Saatbett vor der Aussaat mit Hilfe von Bodenbearbeitungsgeräten vorbereitet. Bei der Direktsaat hingegen erfolgt die Saat direkt auf dem unbearbeiteten Land und Rückstände der Vor- oder Zwischenfrüchte bleiben als Mulch auf dem Feld. Da dieses Vorgehen jedoch nicht immer eine optimale Ablagetiefe und gleichmäßige Verteilung des Saatguts ermöglicht, ist heutzutage auch die sogenannte modifizierte Direktsaat beliebt, bei der lediglich in den Saatreihen ein Saatbett mit einer bestimmten Tiefe erstellt wird, ohne jedoch die gesamte Ackerfläche zu bearbeiten. Dabei können beispielsweise die oberen Schichten der Erde mit einer Scheibenegge bearbeitet oder mit einer Fräse gelockert werden, um eine Furche für das Saatgut zu ziehen.
Für die Direktsaat beim Reisanbau in Japan hat Fukuoka das Konzept der Samenbomben entwickelt. Dabei handelt es sich um Kugeln aus Erde, Kompost und Ton, in das die Samen der zu säenden Pflanzen eingearbeitet werden. Die getrockneten Kugeln werden hart und verhindern so, dass die Samen zu früh keimen. Werden die Samenbomben auf das Feld geworfen, so schützen die harten Kugeln die im Inneren befindlichen Samen vor Vögeln, Nagetieren und Sonneneinstrahlung. Erst wenn es regnet, erweichen die Klumpen, die Samen können dann keimen und zu Nutzpflanzen heranwachsen. So können die Samen in gewisser Weise selbst den besten Zeitpunkt zum Keimen “wählen”. Der in den Samenbomben enthaltene Kompost gibt den jungen Pflanzen auch gleich die wichtigsten Nährstoffe mit. So haben sie alle Voraussetzungen für ein schnelles und gesundes Wachstum und es ist leicht verständlich, warum Fukuoka Samenbomben als ein “kleines, eigenes Universum” bezeichnet.
Fukuokas Theorien wird oft vorgeworfen, nicht auf europäische Verhältnisse übertragbar zu sein, da die klimatischen Bedingungen in Japan sich sehr von den hiesigen unterscheiden und der Anbau von Reis nur bedingt mit dem von Weizen zu vergleichen ist. Dennoch enthalten die Beobachtungen Fukuokas allgemeine Wahrheiten, die nicht nur für japanische Landwirte hilfreich und interessant sind. “Der Große Weg hat kein Tor” ist mehr als eine Anleitung für nachhaltige Landwirtschaft. Es handelt sich um eine philosophische Reflexion über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur, über Ernährung, Gesundheit und kulturelle Werte, die bis heute aktuell sind.
Dies zeigt sich auch darin, dass sich auch einige okzidentale Strömungen den Ideen Masanobu Fukuokas annähern. Permakultur und konservierende Landwirtschaft sind modernere Konzepte, die von der Theorie Fukuokas inspiriert sind.
Doch auch eine ganz andere Strömung hat sich die Samenbomben von Fukuoka zu eigen gemacht und nutzt diese auf ihre ganz eigene Art und Weise. Es handelt sich um die sogenannte “Guerillagärtnerei”. Deren Grundidee besteht darin, dass die Natur die Städte zurückerobern soll. So üben sich Guerilla-Gärtner im wilden Anpflanzen von Blumen, aber auch von Obst und Gemüse im städtischen Umfeld. Der Lebensraum Stadt soll durch die Natur, die der Mensch absichtlich verdrängt hat, angereichert und lebenswerter gemacht werden.
Dabei sind Samenbomben eine der bevorzugten “Waffen” der Guerillagärtner. Sie eignen sich besonders gut zu diesem Zwecke, da sie einfach überall hingeworfen werden können und kein Anpflanzen im klassischen Sinne mit Spaten und Gießkanne nötig ist. Dies wäre auch nur schwer möglich, da das Pflanzen auf öffentlichem Gelände verboten ist und als Sachbeschädigung geahndet werden kann. Mit Hilfe von Samenbomben hingegen können heimliche Bepflanzungen selbst auf belebten Plätzen vorgenommen werden. Außerdem stimmt diese Vorgehensweise sehr gut mit dem Grundsatz der Guerillagärtner überein: der Natur soll die Chance gegeben werden, sich in Teilen der Städten wieder niederzulassen. Dabei wird auch der natürlichen Auslese freier Lauf gelassen. Nur dort, wo die Bedingungen günstig sind, werden die Samenbomben aufgehen und sich zu Pflanzen entwickeln. Der Mensch unterstützt zwar diesen Prozess, indem er die Samenbomben streut. Der Rest bleibt jedoch der Natur überlassen und natürliche Selektion und Zufall haben ihren Platz bei diesem Unterfangen.
Die Motivation der Gartenguerilleros kann verschiedener Art sein. Während Guerillagärtnerei ursprünglich eine Form des politischen Protests von Umweltaktivisten oder Globalisierungsgegnern war, stehen heutzutage vor allem ethische und ästhetische Anliegen im Vordergrund. Sie möchten die Städte verschönern und dabei gleichzeitig zu ihrer eigenen Lebensmittelversorgung beitragen. Deshalb werden gerne Obst- und Gemüsebeete in Hinterhöfen, auf Hausdächern und anderen Grünflächen angelegt. Selbst angebautes und natürlich gewachsenes Gemüse außerhalb der konventionellen Agrarindustrie wird als Ideal der Lebensmittelversorgung angesehen.
Das steigende Interesse an natürlich gewachsenen Lebensmitteln und die allmähliche Abkehr von der Idee, der Mensch müsse die Natur bezwingen und beherrschen, zeigt, dass das Konzept der natürlichen Landwirtschaft von Masanobu Fukuoka auch heute noch aktuell ist – oder vielleicht gerade heute immer aktueller wird.
Bildquelle: Reisfeld (c) Pixabay
Sehr interessanter Artikel!
Über so eine Art der Landwirtschaft, habe ich noch nie gehört.
Werde mich bestimmt noch weiter darüber informieren, jetzt wo mein Interesse geweckt wurde 🙂
Freue mich auf weitere tolle Beiträge!